
form+zweck 11+12
Reparatur, Zoo, Art Déco
: Jack Burnett-Stuart | Michael Matuschka | Jürgen Patzak-Poor
Durchgangsbad. Gegen die Zwangsläufigkeit des Üblichen
Das Genormte ist praktisch, etwas Kollektivität noch, doch so leicht langweilig, zu freundlich, zu vertraut, daher ist jeder noch so kleine Versuch, in den Ritzen des Überkommenen nach etwas Utopie zu suchen, sie nicht als ferne Projektion, sondern als nahe Überraschung aufzuspüren, so wertvoll. (...) Es ist eine anvisierte Veränderung, eine mobilisierende Transformation im Inneren des ausgetretenen Gehäuses des Berliner Mietshauses in seiner proletarischen Version, das doch die ganze Geschichte dieser Stadt enthält, die uns langsam und von Unkundigen abgenommen wird. In der Küche fand fast alles statt, von den Schularbeiten bis zum Frühstück und ein Bad gab es nur für Begüterte. Diese beiden gesellschaftlichen Standards auch dort einzubauen, wo sie scheinbar nicht vorgesehen waren, nicht reinpassten und sie in einer fast musikalischen Weise aufeinander abzustimmen, so daß der Alltag und die Nacht nicht mehr auseinanderfallen, gegen diese Ehe auf Zeit spricht eigentlich nichts. Also, wogegen stoßen wir, gegen die Eigentumsverhältnisse? Platz ist genug. Vorwärts
Jonas Geist. Berlin, den 1. Oktober 1994
1 Einleitung
Das Durchgangsbad besteht aus einem verstellbaren Durchgang zwischen Flur und Küche. Durch die Bewegung zweier Türen, die die Badewanne freigeben, verwandelt sich der Durchgang in ein Badezimmer. Durch eine Schiebetür können das WC und das Waschbecken in das Bad mit einbezogen werden.
2 Kontext - Das Berliner Mietshaus
In Berlin hat sich im 19. Jahrhundert ein schnell feststehender eigenartiger Haustyp herausgebildet, der auf alle Provinzstädte Preußens ausstrahlt, für alle Einkommensklassen gebaut wurde und je nach Gegend und Erwartung in Dimension, Proportion und funktionaler Mischung moduliert werden konnte. (...) Das konstruktive System des Hauses ist so beschaffen, daß es bis heute alle Nutzungsanforderungen ausgehalten hat. Die Mietshausgebiete, die die Bombardierung überlebten und einigermaßen intakt blieben, sind gegenwärtig, nachdem das eigentliche Zentrum zerstört wurde, der Träger städtischer Verhältnisse. Jonas Geist/Klaus Küvers
Die Motivation für den Entwurf eines Durchgangsbades ist der große Bedarf an Badezimmern im Altbaubestand Ostberlins. Beispielsweise haben im Sanierungsgebiet Teutoburger Platz, Prenzlauer Berg, 47% der Altbauwohnungen kein Badezimmer.
Das Durchgangsbad ist eine andere Strategie für den Einbau eines Badezimmers im kleinsten Wohnungstyp der Küche/Stube-Wohnung mit Außen-WC (‹Podest-Klo›). Es ist nicht möglich, ein Standardbadezimmer in diese Kleinstwohnungen geschickt zu integrieren. Daher erschien es dringend nötig, eine Bademöglichkeit für diese Fälle zu entwickeln.
3 Der Vorteil des Durchgangsbades
Bei der konventionellen Modernisierung dieses Wohnungstyps blockiert das Badezimmer den direkten Zugang vom Flur in die Küche bzw. Kochnische. Dies erzwingt für die täglichen Besorgungen den Umweg durch den Wohnraum. Einkaufen und Müllhinaustragen können nicht erledigt werden, ohne den privaten Charakter des Wohnraums zu zerstören.
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